Einführungsrede von Marlies Behm,

Künstlerische Leiterin der Overbeck-Gesellschaft Lübeck

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Dorle, lieber Ulf,

liebe Miriam Jarrs

 

Magie und Poesie, das Bedrohliche und das Erhabene. Diese Begriffe zitiert der Autor James Freeman, um die Atmosphäre zu beschreiben, die die Bilder der Hamburger Künstlerin Miriam Jarrs  ausstrahlen. Begriffe, die eine eher emotional wahrnehmbare Ebene benennen.

Doch es existiert in diesen Bildern noch eine weitere Ebene, die selbstbezüglich als Malerei der Malerei bezeichnet werden kann. Die Künstlerin hat eine Vielzahl von malerischen Strategien entwickelt, die häufig als Kontrast eingesetzt werden, um das Magisch-Poetische, das Bedrohlich-Erhabene zu brechen.

Um diese Beziehungen zwischen einer Bildwirklichkeit, die oft als Naturlandschaft erscheint und gewissen Gegenständen, die gleichsam als Störfaktoren die Schlüssigkeit der illusionistischen Darstellung unterlaufen, soll im Folgenden an einem Beispiel aufgezeigt werden.

 

Als eines der grandiosesten Bilder in dieser an Entdeckungen nicht gerade armen Ausstellung, empfinde ich diese Ölmalerei mit dem Titel „crystal sci“, das auch auf der Einladungskarte abgebildet ist. Wenn die Künstlerin behauptet, nicht vom Gegenstand, sondern von der Farbe her ihre Bilder zu erzählen, so trifft das hier in besonderer Weise zu.

Diese grün-weiß flammende Lichterscheinung, die sich vor dem tiefschwarzen Himmel  ereignet, sich an der Horizontlinie spiegelt und als Reflexion bis ins Wasser hineinzieht, erzeugt schon eine gewisse außerirdisch magische Bedrohlichkeit, verstärkt noch durch den in den Tiefen des nächtlichen Raums niedergehenden Sternenregen. Die Dimension, das ganze Ausmaß dieser Erscheinung wird aber erst erfahrbar durch die minimale Größe des Baums, der auf einer winzigen Insel rechts im Wasser steht und der links im Bild ein Pendant findet: einsam steht dort ein kleines schwarzes Pferd, übersät mit strahlend weißen Lichtpunkten.

 

Nach meiner Ansicht ist es dieses Pferd, das uns das latent Unheimliche der Darstellung empfinden lässt, denn es bietet uns die Möglichkeit der Identifikation. Es lässt uns eine Beziehung herstellen zu dem Ungewissen, was in der Natur geschieht und erzeugt ein Gefühl des Unausweichlichen, des Ausgesetztseins gegenüber dem Naturereignis, das daraus erst seine Erhabenheit gewinnt.

Diese Art der Darstellung von Naturwahrnehmungen war in der Kunst der Romantik verbreitet. Ein Beispiel dafür ist Caspar David Friedrichs „Mann über dem Nebelmeer“. Dieser Vergleich zeigt aber auch, wie humoristisch-leicht Miriam Jarrs mit dem Erhabenen umgeht, wie sie kleine Fallstricke auslegt, um das allzu Eindeutige auszuhebeln. 

 

Bis auf das Pferd lässt sich der obere, schwarz hinterlegte Teil der Bildfläche als nächtliche Szene mit Nordlicht deuten, mit einer in sich stimmigen, auf Wiedererkennbarkeit ausgerichteten Malweise.

 

Im unteren Bereich wird es ornamentaler. Lässt sich das erste graugrüne Band, das sich an die schwarze Wasserfläche anschließt und sich über die gesamte untere Bildbreite hinzieht noch als fahles herbstliches Moos interpretieren, so ist das nächste, das schwarze, mit plastischen weißen Punkten besetzte Band von einer fast textilen Stofflichkeit, während aus der darunter liegenden violett-schwarzen Fläche sich längliche, hellbraune, körperhaft bewegliche Formen erheben, deren Pinselstrich deutlich erkennbar ist. Und dann, als letzte Verzierung direkt in die Mitte des unteren Bildrands gesetzt, ein filigranes, symmetrisches Ornament, in der Art einer botanischen Zeichnung oder eines Tatoos an einer gewissen Körperstelle.

 

Die gesamte untere Bildfläche zeigt also eine gänzlich andere malerische Behandlung. Es fehlt jeder deutliche Bezug zu dem Naturschauspiel oben, gezeigt wird pure gegenstandslose Malerei. Nur durch zwei kleine Details wird an die Bildwirklichkeit oben angeknüpft: durch die grünen links oben und unten ins Bild ragenden Zweige und – durch die Lichtpunkte des Pferdes, die sich auf der Stoffbahn wiederholen.

Trotzdem, und das möchte ich betonen, fällt das Bild in seiner Gesamtheit optisch keineswegs auseinander.

 

Dinge, die nicht ins Bild passen, lassen sich auf vielen der Exponate erkennen, mal sind es Luftblasen, die vielleicht im Wasser, vielleicht in den Himmel aufsteigen, oder weiße Bänder, die fesseln oder nur verknüpfen und es gibt schwebende kreisförmige Linien, die schon mal zum Heiligenschein mutieren.

Diese Verunklärungen, zu denen auch die niemals völlig naturidentische, sonder immer artifizielle Farbgebung zählt, machen für mich den Reiz und die Anziehungskraft, ja die Sogwirkung dieser Malerei aus.

 

Ich wünsche dieser Ausstellung sehr viele Besucher und Käufer und Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

         

Marlies Behm (Künstlerische Leiterin der Overbeck-Gesellschaft)

Eröffnungsrede Ausstellung „Miriam Jarrs, serene c.“ 1. März 20013